Howard Shore war im Februar 2015 Gast bei den Berlinale Talents. Ich hatte Gelegenheit mit dem kanadischen Komponisten zu sprechen. Da das Interview 10 Minuten lang sein sollte, habe ich Freunde gefragt, was sie unbedingt von Howard Shore wissen möchten.

Howard Shore bei den Berlinale Talents 2015Stefanos Tsarouchas: Gestern haben Sie eine Masterclass gehalten. Welche Erwartungen hatten Sie?

Howard Shore: Ich wollte nur einige Ideen, Gedanken vermitteln, den Prozess, den ich durchlaufe, wenn ich schreibe. Es macht mich sehr glücklich, wenn ich Menschen auf positive Art und Weise beeinflussen kann.

S. Tsarouchas: Was haben Sie von der Veranstaltung gedacht? War sie so, wie Sie es erwartet haben? Gab es Ausschnitte aus Ihren Filmmusiken und wurde darüber gesprochen?

H. Shore: Ja, Peter Cowie schreibt großartig über Film. Er war der Moderator. Wir haben sieben Stücke aus sieben verschiedenen Filmen herausgesucht, kleine Ausschnitte. Wir haben darüber gesprochen. Peter ist eine wahre Autorität im Bezug auf Filmmusik. Er ist ein echter Bewunderer des Einsatzes von Musik in Filmen. Es war ein sehr gutes Gespräch.

S. Tsarouchas: Glauben Sie, dass junge Filmkomponisten zu große Erwartungen haben eine Arbeit in Hollywood zu bekommen?

H. Shore: Überall auf der Welt werden Filme gedreht. Es gibt überall großartige Filmemachter. Ich weiß nicht, ob man unbedingt so weit nach Westen schauen muss um gute Filme zu machen.

S. Tsarouchas: Sie haben mit Peter Jackson bei den HERR DER RINGE und HOBBIT – Filmen zusammengearbeitet. Das sind Stunden und Stunden von Musik. Wie sind Sie auf neue musikalische Themen beim letzten HOBBIT-Film gekommen?

H. Shore: Es hat fast vier Jahre gedauert um den Score zu den HERR DER RINGE – Filmen zu schreiben. Ich glaube, bei den HOBBIT – Filmen waren es um die drei Jahre. Tolkiens Welt ist sehr komplex. Um die Geschichte gut zu erzählen brauchte man eine bestimmte Art von Struktur und Architektur der Musik. Sie ist sehr vom 19. Jahrhundert durchdrungen. Es gibt sehr viel Modernismus, viele orchestrale Techniken des 20. Jahrhunderts. Es ist ein großes Werk, geschrieben für ein Sinfonieorchester, gemischten Chor, Kinderchor, Solisten. Über 240 Musiker spielen den Score. Es hat sehr lange gedauert um Tokiens und Peter Jacksons Vision in Musik zu übersetzen. Sie ist ein Abbild der Geschichte.

S. Tsarouchas: Würden Sie einen weiteren Film mit Peter Jackson machen? Es gibt ja noch viele andere Geschichten von Tolkien.

H. Shore: Ich glaube, wir haben im Moment mit Tolkien abgeschlossen. Das waren die Geschichten, die wir verfilmen konnten, aber wer weiß, was die Zukunft für andere Geschichten bereit hält.

S. Tsarouchas: Was ist für Sie als Filmkomponist eine Herausforderung?

H. Shore: Ich mag eine gute Herausforderung, wenn ich eine Geschichte mit Musik erschaffe. Ich mag sehr gerne Geschichtsfilme, weil ich sehr gerne lese. Ich mag die Recherche. Ich mag auf jeden Fall eine gute Herausforderung. Auch längere Projekte sind sehr interessant für mich, wenn es um das Komponieren der Filmmusik geht.

S. Tsarouchas: Was sollte eine gute Filmmusik erreichen?

H. Shore: Sie sollte die Zuschauer nahtlos in die Filmwelt versetzen. Wenn also die Lichter ausgehen und man sitzt im Kino, die Musik beginnt, der Film beginnt, dann soll ein Prozess beginnen bei dem das Publikum in die Geschichte hineinversetzt wird.

S. Tsarouchas: Was halten Sie vom Einsatz der Filmmusik, wie er gegenwärtig bei Hollywood Blockbustern stattfindet? Vor ein paar Tagen habe ich JUPITER ASCENDING gesehen. Es gab laute Soundeffekte, aber die Musik musste unbedingt noch lauter sein. Ist das die richtige Art und Weise Filmmusik zu verwenden?

H. Shore: Ich habe JUPITER ASCENDING nicht gesehen. Ich kann also dazu nichts sagen. Manche dieser Filme werden gut gemischt, einige wirklichgut. Einige Filme werden übertrieben gemischt, aber ich glaube, das liegt an der Zeit, in der wir leben.

S. Tsarouchas: In der IMDB steht, dass Sie die Musik für Martin Scoreses nächsten Film SILENCE komponieren. Stimmt das?

H. Shore: Sie sollte nicht alles glauben, was im Internet steht. Martin ist gerade beim Drehen. Normalerweise beginnt er sehr langsam und dann entwickelt er die Ideen. Ich arbeite nicht speziell an diesem Film. Nein.

S. Tsarouchas: Meiner Meinung nach wird man in Hollywood in eine bestimmte Schublade gesteckt, wenn man an Blockbustern arbeitet wie z.B. DER HERR DER RINGE. Wie sehen Sie sich im Hollywoodsystem?

H. Shore: Nun, vor DER HERR DER RINGE gab es Scores, die auf eine gewisse Weise dazu geführt haben wie DIE FLIEGE (1986). Bei AL PACINO'S LOOKING FOR RICHARD (1996) gab es einen lateinischen Choraltext. Es gab also arbeiten die dazu geführt haben. Ich will damit sagen, dass DER HERR DER RINGE ein großes orchestrales Werk für Chor ist. Die letzten Filme, MAPS TO THE STARS (2014) und John Stewarts Film ROSEWATER (2014), der im Iran spielt. Diese Scores waren ganz anders als die Tolkien Musiken.

S. Tsarouchas: Was halten Sie von temporärer Musik?

H. Shore: Sie kann ein wenig restriktiv sein. Wenn möglich versuche ich an Filmen zu arbeiten, bei denen es noch keine Musik gibt. Ich weiss, dass es die bei David Cronenberg und Martin Scorsese nicht gibt. Temporäre Musik kann ein wenig einengen, was für einen Film alles möglich wäre. Sie macht es sehr einfach und läßt die Vorstellung nicht genug wachsen, was im Prozess der Komposition möglich wäre.

S. Tsarouchas: Sie haben sehr viel mit David Cronenberg, Martin Scorsese und Peter Jackson gearbeitet. Mit wem arbeiten Sie am liebsten?

H. Shore: Das sind alles sehr gute Regisseure.

S. Tsarouchas: Ist es für sie einfacher, wenn ein Regisseur schon eine bestimmte Musik im Kopf hat? Wenn er sich mit Musik auskennt und sich mit musikalischen Fachbegriffen äußern kann?

H. Shore: Ich glaube, wenn die Zusammenarbeit zwischen Komponist und Regisseur aufgrund der Ideen der Geschichte expandiert. Man muss nicht unbedingt von bereits vorhandenen Ideen ausgehen. Wir arbeiten auf eine Weise, wo die Summe vielleicht größer ist als die einzelnen Teile Wir kommen vielleicht auf Ideen, an die wir zu beginn gar nicht dachten. Es muss ein Entwicklungsprozess sein.

S: Tsarouchas: Das älteste Musikstück, das ich von Ihnen habe, ist für SATURDAY NIGHT LIVE. Wie haben Sie da begonnen?

H. Shore: Ich habe mit einer Gruppe von Schauspielern und Textern gerarbeitet als ich sehr jung war. Ich habe für Jahre Repertoiretheater in Toronto gemacht.  SATURDAY NIGHT LIVE ist irgendwie daraus gewachsen. Ich habe Radio für die Canadian Broadcasting Company, CBC in Toronto gemacht. Ich habe auch zusammen mit Lorne Michaels in Toronto Fernsehen, Unterhaltungssendungen gemacht. Das hat zu SATURDAY NIGHT LIVE geführt, eine US-Sendung, die 1975 begann. Wir feiern jetzt unser 40. Jahr auf Sendung mit einer drei Stunden langen Jubiläumssendung.

S. Tsarouchas: Ich habe gelesen, dass Sie die Idee für BLUES BROTHERS hatten. Stimmt das?

H. Shore: Das war eine Sache, die ich mit der Band der Show zum Aufwärmen tat. Ich habe Dan Aykroyd eingeladen Mundharmonika zu spielen. Er kann das sehr gut. Natürlich wollte auch John Belushi mitspielen. Diese Blues Sache war immer etwas, was in der Musik der Show im Hintergrund stand. Daraus entstanden die Aufnahmen im Film BLUES BROTHERS, die sie selbst eingespielt haben.

S. Tsarouchas: Wie reflektieren Sie ihre Karriere? Hat sie sich so entwickelt, wie Sie erwartet haben?

H. Shore: Ich weiss wirklich nicht, ab sie so oder anders verlaufen ist. Als junger Musiker und Komponist habe ich nur nach verschiedenen Möglichkeiten gesucht.  Ich bin in den 1960er Jahren aufgewachsen. Ich komme aus einer Zeit, in der viel experimentiert wurde. Ich dachte, Filmmusik war ein guter Weg in die Aufnahmestudios zu kommen, mit anderen Musiker zu sein, mit den elektronischen Instrumenten der damaligen Zeit zu arbeiten. Es war ein Weg viele Dinge auszudrücken, über die ich damals nachdachte. Meine Entwicklung hat viele verschiedene Produktionen durchlaufen. Ich habe verschiedene Möglichkeiten gesucht um zu arbeiten.


Ausschnitte aus dem Interview konnte man in der Berlinale-Sendung am 21. Februar 2015 um 17 Uhr hören.